Palmsonntag

– dazu eine chassidische Erzählung, überliefert von Martin Buber:

In der Stadt Ropschitz pflegten die Reichen, deren Häuser einsam oder am Ende des Ortes lagen, Leute anzustellen, die nachts über ihren Besitz wachen sollten.

Als Rabbi Naftali eines Abends spät am Rande des Stadtwaldes spazieren ging, begegnete er solch einem Wächter.

„Für wen gehst Du?“, fragte er ihn. Der Wächter gab ihm die entsprechende Auskunft, fügte jedoch sofort die Gegenfrage hinzu: „Und für wen geht Ihr, Rabbi?“

Diese Frage traf den Rabbi wie ein Pfeil. „Noch gehe ich für niemand“, brachte er mühsam hervor.

Dann ging er lange und schweigend neben dem Wächter her. Schließlich fragte er ihn: „Willst Du mein Diener werden?“ – „Das will ich gern“, antwortete jener, „aber was habe ich zu tun?“ – „Mich zu erinnern“, sagte Rabbi Naftali.


Alexander Hermann